Dreier´s Bücherwelt: Dranchenfreunde


   »Maya!«, rief Samanta und lief ihr entgegen.

   Plötzlich war alles um sie herum verschwunden. Mitten in der Bewegung verharrte sie und lauschte. Es war jedoch nichts zu hören oder zu sehen, nur absolute Stille und Schwärze. Sie begriff, dass sie nicht mehr auf der Wiese am Wald war. Die Angst kroch ihr langsam die Beine hoch. Samanta wurde kalt und das Atmen wurde mit jedem Atemzug schwerer. Was war nur geschehen? Vorsichtig hob sie einen Fuß an und setzte ihn etwas weiter vorne ab. Als er den Boden berührte, wurde es schlagartig hell. Samanta musste die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden, dabei setzte sie vor Schreck den Fuß wieder zurück. Als sie die Augen öffnete, war es wieder dunkel. Sie schloss die Augen und trat einen schritt nach vorne. Langsam, erst nur einen kleinen Spalt weit, öffnete sie die Augen. Sie erkannte, dass es wieder hell geworden war. Nach einiger Zeit konnte sie die Augen ganz öffnen und sich umsehen. Sie befand sich in einem großen leeren Raum. An einer Wand befand sich eine Tür. Samanta ging auf die Tür zu, als diese plötzlich aufschwang. Erschrocken blieb sie stehen und wartete auf das, was nun erscheinen würde, doch es kam niemand. Langsam schlich sie weiter auf die Tür zu und lugte hindurch. Dahinter befand sich ein langer Tunnel, der durch Fackeln an den Wänden beleuchtet wurde. Kaum hatte sie den Raum verlassen und den Tunnel betreten, da ging das Licht in dem Raum hinter der Tür aus. Samanta schloss diese und machte sich auf den Weg den Tunnel zu erkunden. Es schien so, als ob er unendlich weit ginge. Samanta untersuchte die Wände und den Boden nach Auffälligkeiten, fand jedoch nichts. Nach etwa zweihundert Metern erkannte sie eine Tür an der linken Wand. Eilig rannte sie dorthin und ergriff die Türklinke. Bevor sie die Tür öffnete, lauschte sie. Hierzu legte sie ihr rechtes Ohr an die Tür. Als sie nichts hörte, drückte sie die Klinke herunter und die Tür nach innen. Diese ließ sich kaum bewegen. Nur zögernd gab sie die Öffnung frei. Samanta starrte in das Innere eines dunklen Raumes. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Finsternis und zeigten ihr einige Umrisse. Der Raum schien nicht groß zu sein. In einer Ecke stand ein Bett und in der anderen ein Tisch und ein Stuhl. Auf dem Tisch stand eine erloschene Kerze. Mehr konnte sie nicht erkennen. Sie wandte sich von dem Raum ab und zog die Tür wieder zu. Langsam ging sie weiter durch den Tunnel. Es dauerte nicht lange, da sah sie wieder eine Tür. Auch bei dieser lauschte sie zuerst, ob sich jemand dahinter befand. Dann öffnete sie diese und trat ein. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie sich um. Dieser Raum war genauso ausgestattet, wie der erste. Enttäuscht schloss sie die Tür und ging weiter. Auf ihrem Weg durch den Tunnel kam sie immer wieder an Türen vorbei, hinter denen sich ein Raum mit identischer Ausstattung befand. Nach der achten Tür ließ sie diese einfach offen stehen. Nach einer Weile fand sie die neunte Tür. Diese stand jedoch im Unterschied zu den anderen offen. Samanta sah sich die Tür und den Raum genau an. Auch dieser sah so aus wie alle anderen. Diesmal Mal ging sie zu dem Tisch und zündete die Kerze an. Hierzu verwendete sie einen Feuerstein, den sie neben der Kerze fand. Danach ging sie in den Tunnel und lief so schnell sie konnte zurück zur achten Tür. Samanta blieb hinter der offenen Tür stehen. Langsam lugte sie um die Tür herum in den Raum. Er sah so aus, wie sie ihn verlassen hatte. Das Bett, der Tisch, die Kerze und der Stuhl, alles war an seinem Platz. Eines jedoch war anders: Die Kerze brannte. Verwundert darüber ging sie zu dem Tisch. Neben der Kerze lag der Feuerstein, an der Stelle, wo sie ihn im anderen Raum hatte liegen lassen. Entschlossen herauszufinden, was hier geschah, nahm sie ein Tuch aus ihrer Tasche und legte es auf den Tisch. Danach ging sie zu dem neunten Raum und sah nach. Neben der Kerze lag ihr Tuch. Verzweiflung kroch in ihr auf. Entmutigt setzte sie sich und starrte auf das Tuch. Die ganze Zeit lief sie also im Kreis. Aber wo war der Raum, aus dem sie zuerst gekommen war? Was sollte sie jetzt tun? Nur langsam konnte sie wieder klare Gedanken fassen. Als sie sich einigermaßen gefasst hatte, schaute sie sich genauer um.

    

   Der Raum war nicht besonders groß. Maß nur etwa vier mal vier Meter, Fenster gab es keine. Das Bett schien bequem zu sein. Es lag ein Kissen und eine Decke auf der mit Stroh gefüllten Matratze. Samanta legte sich auf das Bett und starrte nachdenklich an die Decke. Es dauerte nicht lange, da fielen ihr die Augen zu.

    

   Ein lauter Knall ließ Samanta aufschrecken. Zuerst wusste sie nicht, wo sie sich befand. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie sich erinnerte und orientieren konnte. Die Kerze war erloschen, somit konnte sie nichts sehen. Vorsichtig stand sie auf und tastete sich zu dem Tisch. Dort suchte sie die Kerze und den Feuerstein. Als die Kerze brannte, erkannte Samanta, dass die Tür geschlossen war. Hastig ging sie zu der Tür und versuchte sie zu öffnen. Sie drückte die Türklinke herunter, aber die Tür bewegte sich nicht. Sie stellte die Kerze ab und versuchte es nun mit beiden Händen. Was Samanta auch versuchte, die Tür blieb verschlossen. Entmutigt nahm sie die Kerze auf, ging zum Stuhl und setzte sich. Als sie die Kerze auf den Tisch stellte, wunderte sie sich. Auf dem Tisch standen ein Teller, Becher und eine Schüssel. In der Schüssel befanden sich Brote, Trockenwurst und zwei ihr unbekannte Knollen, im Becher war kühles Wasser. Dies hatte sie vorhin in der Aufregung wohl übersehen. Samanta fragte sich, wer die Sachen auf den Tisch gelegt hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie Hunger hatte. Während sie aß, überlegte sie, wer oder was sie wohl hier gefangen hielt und vor allem, warum.

    

   Nachdem sie ihren Hunger und Durst gestillt hatte, suchte sie den Raum nach Fluchtmöglichkeiten ab. Da es kein Tageslicht gab, wusste sie nicht, wie spät es war oder wie lange sie den Raum abgesucht hatte. Irgendwann überkam sie die Müdigkeit, und sie legte sich hin.

    

   »Aufstehen! He! Aufwachen!«

   Samanta öffnete schlaftrunken die Augen und blickte einem grimmig schauenden Gesellen ins Gesicht. Sie erschrak so heftig, dass sie zurückwich und sich dabei den Kopf an der Wand stieß.

   »Aua!«

   »Los. Steh auf und komm!«

   Die Gestalt neben ihrem Bett drehte sich zur Seite und ging zur Tür. Samanta sah ihr zuerst nur nach, aber als die Gestalt sie wieder aufforderte zu folgen, stand sie auf und ging ihr hinterher. Dabei betrachtete sie den Gesellen genauer.

   Es handelte sich um einen kleinen älteren Mann. Seine langen Haare waren verfilzt und ungewaschen. Seine Gesichtshaut sah aus, als wäre sie aus grobem Leder. Der Kopf war fast kreisrund und aufgedunsen. Seine Kleider bestanden aus grobem Leinen und Leder, das offensichtlich schon lange kein Wasser mehr gesehen hatte. An den Füßen trug er lederne Stiefel, die durch Riemen gehalten wurden.

   »Wer bist du und wohin gehen wir?«

   »Das wirst du noch früh genug erfahren. Beeil dich!«

   Samanta wunderte sich, dass sie nicht, so wie es ihr geschehen war, immer wieder an dem einem Raum vorbeikamen. Der Tunnel schien jetzt ein Ziel zu haben. Nach einiger Zeit blieb der Mann plötzlich stehen.

   »Warte hier.«

   Samanta nickte. Der Mann ging zu einer Stelle an der Wand, die etwas hervor stand. Dort tippte er zweimal auf einen Stein, der neben der erhabenen Stelle saß. Kurz darauf schob sich die Wand nach innen und verschwand zur Seite. Der Mann ging durch die entstandene Öffnung und wurde von der dahinter liegenden Dunkelheit verschluckt. Samanta stand nur da und starrte das Loch an. Sie hatte keine Angst, aber ihr gefiel nicht, nicht zu wissen, was sich dahinter verbarg. Nach etwa zwei Minuten kehrte der Mann zurück.

   »Komm mit«, sagte er kurz angebunden und ging wieder in die Dunkelheit.

   Samanta zögerte zuerst, dann folgte sie ihm. Sie tauchten in die Dunkelheit. Die Luft war so kalt und schmerzte beim Atmen, dass sie den Atem anhielt. Nach fünf Schritten war alles vorbei. Sie befand sich in einem großen hellen Raum, an dessen Ende ein Tisch stand, auf den der kleine Mann zuging. Samanta folgte ihm, wobei sie sich ständig umschaute. Sie entdeckte mehrere Türen, vor denen Wachen standen. Alle trugen die gleiche Kleidung, wie der kleine Mann, der sie abgeholt hatte. Aber sie waren bewaffnet: Jeder trug ein Schwert am Gürtel und einen Speer in der Hand. Der kleine Mann hatte den Tisch bereits erreicht und sprach mit jemandem, als Samanta ebenfalls dort eintraf.

   »Hallo, Samanta. Ich freue mich, dich endlich kennen zu lernen«, sagte die Person hinter dem Tisch und reichte ihr die Hand.

   Samanta sah den Fremden erstaunt an. »Woher kennen sie meinen Namen?«

   »Das werde ich dir gleich zeigen«, entgegnete er knapp. »Entschuldige bitte. Ich bin Gromuldus. Dies ist Hosmonus «, dabei zeigte er auf den Zwerg, der Samanta geholt hatte.

   Samanta nahm die Antwort mit einem Nicken entgegen, dabei musterte sie Gromuldus von Kopf bis Fuß. Er war nicht viel größer als sie selbst. Hatte langes braunes Haar, das wild vom Kopf abstand. Sein Gesicht war mit dem Bart, den er trug, fast gänzlich bedeckt, so üppig wuchs er. Das fast runde Gesicht wirkte durch die sehr tief liegenden Augen finster. Welche Farbe sie hatten, konnte Samanta nicht erkennen. Die Kleidung war von einer gewissen Eleganz, die wohl von den Farben und nicht von dem groben Stoff herrührte.

   »Was wollen sie von mir?«

   Gromuldus blickte zu Hosmonus, woraufhin dieser den Raum durch eine Seitentür verließ. »Samanta, komm bitte mit. Ich möchte dir etwas zeigen.« Er ging um den Tisch herum an Samanta vorbei. »Komm«, sagte er noch einmal und winkte. Samanta folgte dem Zwerg in einem für sie sicheren Abstand. Sie traute ihm nicht. Als Gromuldus das andere Ende des Raumes erreicht hatte, schob er einen Vorhang beiseite. Dahinter verbarg sich eine Tür, die reich verziert war. Als Samanta vor der Tür stand, staune sie. Die Tür war über und über mit kunstvollen Schnitzereien bedeckt. Gromuldus nahm eine Fackel, die neben der Tür an der Wand hing, und stellte sich so hin, dass der Schein der Fackel die Tür ausleuchtete. Als Samanta näher an die Tür heranging, zeigte Gromuldus mit der Fackel auf den unteren Rand. Dort war eine Hütte abgebildet, genau so wie die, in der sie mit ihrer Mutter wohnte. Rechts daneben sah man eine Frau, die ein kleines Kind in ihren Armen hielt. Samanta sah fragend zu Gromuldus, der die Fackel daraufhin ein Stück höher hielt. Dort war ein Berg mit einer Höhle abgebildet. Daneben ein kleines Mädchen, das vor einem Drachen kniete. Samanta wich erschrocken zurück, als sie die Abbildung erkannte. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und rieb sich die Augen. Kurz darauf ging sie wieder näher heran. Gromuldus hatte die Fackel ein Stück höher gehoben. Jetzt erkannte Samanta einen großen Baum, vor dem ein Junge und ein Mädchen standen. Zum letzten mal hob Gromuldus die Fackel etwas an. Die letzte Schnitzerei nahm den gesamten oberen Teil der Tür ein. Dort waren im Hintergrund zwei Drachen zu sehen, die nebeneinander standen. Im Vordergrund standen eine Frau und ein Mädchen. Samanta ging so nahe heran, wie es die Fackel erlaubte. Sie sah sich diese Szene lange an. Erst als Gromuldus die Fackel wieder an den alten Platz neben der Tür steckte, konnte sich Samanta davon lösen. Jetzt war sie noch verwirrter als zuvor. Was hatte das alles nur zu bedeuten? War sie das dort auf der Tür? Aber wo war Christian? Gromuldus holte aus seiner Tasche einen Schlüssel und steckte diesen in das Schloss der Tür.

   »Öffne diese Tür und deine Fragen werden beantwortet.«

   Samanta hob ihre Hand und legte sie auf den Schlüssel. Langsam drehte sie diesen. Ein leises Knacken zeigte an, dass der Riegel im Inneren sich zur Seite schob. Eine weitere Umdrehung entriegelte die Tür vollends. Sie legte ihre Hand auf den Riegel und zog daran, wobei sie zu Gromuldus sah. Der nickte zustimmend.

   »Nur zu. Du bist die Einzige, die diese Tür öffnen kann.«

   Samanta zog mit all ihrer Kraft an dem Riegel. Nur langsam bewegte sich die Tür und gab den Durchgang frei. Es dauerte einige Zeit, bis Samanta die Tür so weit geöffnet hatte, dass sie hindurchgehen konnte. Neugierig blickte sie in das Dunkel hinter der Öffnung. Ein leiser kalter Hauch strich ihr übers Gesicht. Sie drehte ihren Kopf zu Gromuldus. Er kam mit verzerrtem Gesicht auf sie zu. Kurz darauf spürte sie nur noch, wie sie durch die Öffnung gestoßen wurde.