Dreier´s Bücherwelt: Dranchenfreunde


   »Christian! Christian, wach auf!«

   Zuerst reagierte er nicht. Es dauerte einige Minuten, bevor er das Rufen wahrnahm. Nur langsam öffnete er die Augen. Das einfallende Licht blendete ihn so stark, dass er sie immer wieder schloss. Als er endgültig wach war und sich umsah, begriff er nicht, wo er sich befand. Es sah alles vertraut und doch seltsam fremd aus.

   »Da bist du ja wieder«, sagte jemand.

   »Wo bin ich? Wer bist du?«

   Es kam jedoch keine Antwort. Langsam richtete er den Oberkörper auf und sah sich genauer um. Der Raum, in dem er sich befand, war nur spärlich eingerichtet. Außer einer Truhe, einem Bett und einem Stuhl war nichts zu entdecken.

   »Hallo!«, rief Christian.

   Noch auf die Arme gestützt versuchte er sich weiter aufzurichten und schwenkte die Beine aus dem Bett. Als er sich vollends aufgerichtet hatte, wurde ihm schwindlig, so dass er wieder rücklings auf das Bett fiel. Alles um ihn herum drehte sich. Er schloss die Augen und blieb einige Zeit so liegen.

   »Nicht so schnell. Du bist noch zu schwach.«

   Christian öffnete die Augen und blickte auf. Ein alter Mann schaute ihm ins Gesicht.

   »Erkennst du mich nicht mehr?«, fragte der alte Mann.

   Nur langsam konnte Christian seine Gedanken ordnen. Die Müdigkeit war noch zu groß. Plötzlich erinnerte er sich, wer der alte Mann war.

   »Wie komme ich hierher? Wo ist Floh?«, Christian schnellte hoch und sah sich um.

   »Eins nach dem anderen. Zuerst musst du wieder zu Kräften kommen«, der alte Mann drückte Christian wieder aufs Bett und legte dessen Beine hoch.

   »Was ist mit Samanta und Maya? Geht es ihnen gut?«

   »Das können wir morgen besprechen. Jetzt ruh dich aus.«

   Der alte Mann legte seine Hand auf Christians Kopf. Kurz darauf war Christian wieder eingeschlafen.

    

   Christian wurde durch ein lautes Geräusch geweckt. Erschrocken sah er sich um. Zuerst stutzte er, erinnerte sich aber nach kurzer Zeit wieder. Langsam setzte er sich auf und stieg aus dem Bett. Erst dann bemerkte er, dass er unbekleidet war. Hastig suchte er seine Kleider. Er fand diese in der Truhe liegend. Nachdem er angezogen war, ging er zur Tür und sah hinaus. Jetzt erkannte er vollends, wo er sich befand. Die Umgebung, die er sah, war ihm so vertraut, wie keine andere.

   »Der Baum!«

   Christian war darüber so sehr verwundert, dass er seinen Gedanken laut aussprach. Seit er den Baum verlassen hatte, hatte sich nichts verändert. Alles sah noch so aus, wie damals.

   »Wie ich sehe, kannst du dich an diesen Ort erinnern.«

   Christian fuhr herum und sah in die Richtung, aus der die Stimme kam. Dort stand der alte Mann, den er am Tag vorher bereits gesehen hatte.

   »Ist Floh auch hier?«

   »Er wartet auf der Lichtung auf dich.«

   Kaum hatte der alte Mann den Satz beendet, befand sich Christian bereits auf der Lichtung neben Floh. Aufgeregt lief er um den schlafenden Drachen herum und besah seinen Körper. Er konnte keine Verletzungen entdecken. Als er wieder am Kopf von Floh angekommen war, rief er: »Floh! Geht es dir gut?« Er strich dem Drachen dabei über die Nüstern. Floh reagierte jedoch nicht, seine Augen blieben geschlossen. Christian umarmte ihn, wobei er seinen Kopf auf den vom Floh legte. Seine Gedanken schrien nach Floh, aber sie erreichten ihn nicht. Voller Verzweiflung schrie er laut auf.

   »Er wird erwachen, wenn es an der Zeit ist.«

   Christian schnellte herum und sah in die Richtung, aus der die Stimme zu kommen schien. Aber dort war niemand.

   »Warum? Warum lässt du uns nicht einfach in Ruhe?«

   Die Stimme antwortete nicht. Mit Tränen in den Augen wandte Christian sich wieder seinem Drachen zu. Er stieg auf dessen Rücken und legte sich hin. Während er dem sanften Atmen des Drachen lauschte, dachte er darüber nach, was er nun tun sollte. Noch in Gedanken versunken vernahm er ein seltsames Knurren. Zuerst beachtete er es nicht, da es aber immer lauter wurde, öffnete er die Augen und setzte sich auf. Er musste grinsen, als er erkannte, woher es kam. Kurz darauf erschien neben ihm eine Schale mit Brot, Fleisch und Obst.

   »Danke!«

   Christian nahm die Schale an sich und begann zu essen. Als er damit fertig war, stieg er vom Floh und ging zu dessen Kopf. Floh hatte seine Augen immer noch geschlossen. Auf die Rufe von Christian reagierte er nicht. Enttäuscht darüber ging er zu dem Baum und blickte hoch. Kurz darauf befand er sich wieder in seinem Raum in der Baumkrone. Der alte Mann kam zu ihm und setzte sich auf den Stuhl, während Christian auf dem Bett Platz nahm.

   »Wie lange ...?«

   »Nicht jetzt. Samanta braucht eure Hilfe.«

   »Aber ...«

   Doch der Baumgeist war bereits wieder verschwunden. Gerade als Christian aufstehen wollte, vernebelte sich plötzlich sein Blick. Kurz darauf standen Floh und er mitten auf dem Vorplatz des Palastes von Hostros. Direkt vor ihnen lag Maya. Christian ging zu ihr und entdeckte dabei Samanta, die an Mayas Kopf kauerte. Er sah zuerst nach Samanta, ihr schien es so weit gut zu gehen. Danach wandte er sich Maya zu. Bei der Untersuchung stellte er fest, dass die Wunden von Maya zwar versorgt wurden, aber dennoch lebensbedrohlich waren. Sie hatten sich mittlerweile zum Teil entzündet. Christian sandte seine Eindrücke sogleich zu Floh, um seinen Rat zu erbitten. Er öffnete seinen Geist, damit Floh in ihn eindringen konnte. Gemeinsam untersuchten sie Maya, um das Ausmaß der Verletzungen abschätzen zu können. Die schwersten Verletzungen wollte Christian sofort heilen, was ihm Floh aber nicht gestattete.

   »Denk daran, was dir der Baumgeist gesagt hat.«

   »Aber Maya wird sterben, wenn wir ihr nicht helfen!«

   Christian und Floh stritten einige Zeit darüber, was sinnvoll wäre und was nicht. Zum Schluss meinte Christian, dass er Maya zumindest ein wenig helfen könnte. Er ging zu der am stärksten entzündeten Wunde und strich behutsam, um ihr keine Schmerzen zuzufügen, mit der Hand darüber. Langsam floss die heilende Energie aus seinem Körper in die Wunde. Mit den kreisenden Bewegungen seiner Hand verteilte er die Energie. Nach etwa einer Minute hörte er damit auf, die Entzündung war am Abklingen.

   »Ich denke, Maya wird den Rest selbst schaffen.«

   Zufrieden mit sich ging er zu Samanta.

   »Wo warst du die ganze Zeit?«

   Christian sah sie verwundert an.

   »Wir warten bereits seit sieben Tagen hier.«

   Christian war es nicht bewusst. »Tut mir leid, aber ich ...« Wie sollte er ihr das erklären?

   »Entschuldige, du hattest bestimmt deine Gründe.«

   »Der Baumgeist hatte uns beide geholt. Ich wusste nicht, dass er uns so lange bei sich behalten hatte.«

   »Jetzt bist du ja da. Wir haben es geschafft«, meinte Samanta freudestrahlend.

   »Was haben wir geschafft?«

   »Sie sind alle weg. Die Erdmenschen. Wir hatten mit der Armbrust ihren Anführer getötet. Darauf hin sind sie zurück in die Unterwelt.«

   »Habt ihr den Ein- und Ausgang wieder verschlossen?«

   »Nein. Maya konnte nicht fliegen und ich wollte sie nicht alleine lassen.«

   »Wir müssen sie sofort verschließen, sonst werden sie wieder kommen.« Christian rief Floh, der sogleich herbeieilte. »Komm, Samanta, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

   »Ich kann Maya doch nicht alleine hier lassen!«

   »Sie kann noch nicht fliegen. Du musst mit mir kommen. Ich kann die Zugänge nicht schließen.«

   »Geh ruhig. Ich werde zurechtkommen«, sagte Maya.

   Schweren Herzens stieg Samanta auf Floh. Als sie hinter Christian saß, schaute sie noch einmal zurück zu Maya. Dann hoben sie ab. Samanta hatte Mühe sich festzuhalten, da Floh sehr schnell an Geschwindigkeit gewann. Er flog so schnell, dass sie die Strecke in nur zwei Stunden bewältigten. Floh landete unmittelbar neben dem Ausgang der Unterwelt. Beide stiegen ab und begaben sich zum Durchgang.

   »Was machen wir jetzt?«, wollte Samanta wissen.

   »Ich weiß es noch nicht. Du hast doch den Durchgang geöffnet?«

   Samanta sah verlegen zu Boden und meinte knapp: »Ja.«

   »Dann kannst du ihn auch wieder verschließen.«

   »Aber wie? Ich kann doch nicht in die Unterwelt und das Tor wieder zumachen. Wie sollte ich dann wieder herauskommen?«

   Sie überlegten und diskutierten die unterschiedlichsten Möglichkeiten, kamen jedoch zu keinem Ergebnis.

   »Du musst nur den umgekehrten Weg gehen«, sagte plötzlich jemand hinter ihnen.

   Als Samanta sich nach der Stimme umsah, entdeckte sie eine bekannte Gestalt. Mit weit aufgerissenen Augen und einem Freudenschrei auf den Lippen rannte sie dem Mann entgegen. »Vater, du lebst?« Mit diesen Worten sprang sie ihm in die Arme.

   »Seimon konnte den Pfeil entfernen und mich heilen. Samanta, du musst dich beeilen. Es wird nicht mehr lange dauern und die Erdmenschen kommen wieder nach oben. Geh durch den Ausgang und dann durch den Eingang zurück an die Oberfläche. Nur so können die Durchgänge geschlossen werden.«

   »Warum bist du nicht durchgegangen und hast sie geschlossen?«

   »Das geht nicht. Nur ein weiblicher Nachkomme des Magiers, der die Türen verschlossen hatte, kann dies. Du bist wohl ein Nachkomme, sonst hättest du die Tür nicht öffnen können. Geh jetzt, bevor es zu spät ist.«

   Samanta sah ihren Vater noch einmal an, dann ging sie zum Ausgang der Unterwelt und schritt hindurch.

   »Ob sie es schaffen wird?«, fragte Christian mehr sich selbst.

   »Wollen wir es hoffen«, sagte Fabian hoffnungsvoll.