Dreier´s Bücherwelt: Dranchenfreunde


   Als die Erdmenschen in Gontras die beiden Drachen sahen und Maya das erste mal Feuer gespien hatte, gaben sie auf. Widerstandslos ließen sie sich gefangen nehmen. Die Stadt war befreit. Der Handelsstrom konnte wieder uneingeschränkt fließen. Samanta und Christian blieben noch einige Tage in der Stadt, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Die beiden Drachen halfen dabei die Befestigungen niederzureißen, und den entstandenen Schutt beiseite zu schaffen. Samanta koordinierte die Arbeiten, während Christian mit etwas Magie den Verletzten half. Als die Aufräumarbeiten fast abgeschlossen waren, verabschiedeten sich die beiden von den Bewohnern und flogen nach Hause.

    

   Unterwegs bemerkte Samanta, dass mit Christian etwas nicht stimmte.

   »Was ist mit dir?«

   »Ich ... es ... ist ... Lass uns dort drüben auf der Lichtung landen.«

   Fast gleichzeitig drehten die Drachen ab und landeten auf der angegebenen Lichtung. Christian hatte, noch bevor er abgestiegen war, eine Sitzgelegenheit auf der Lichtung geschaffen. Beide stiegen von ihren Drachen und setzten sich. Samanta sah ihn gespannt an.

   Christian wirkte verlegen. Mit gesenktem Kopf meinte er: »Ich muss wieder zurück.«

   »Wohin zurück?«

   »Der Baumgeist wird schwächer. Ich hatte gehofft, noch etwas mehr Zeit zu haben.«

   »Und? Du bist doch nicht ...?« Samanta verstummte, während Christian sie traurig ansah.

   »Wenn er stirbt, werde ich sein Nachfolger sein. Damit ist das Gleichgewicht gewahrt. Dafür hatte er mich gerettet und ausgebildet.«

   »Du wirst nicht mit uns zurück nach Hause kommen?«

   »Nein. Aber wir werden uns wiedersehen.« Mit diesen Worten verschwand Christian vor ihren Augen. Als sie sich umdrehte, war auch Floh verschwunden. Samanta rannte zu Maya.

   »Hat Floh noch etwas gesagt?«

   »Ja. Er freue sich auf den Tag, an dem er uns wieder sieht.«

   Mit Tränen in den Augen und einem schweren Herzen legte Samanta sich neben Maya. Sie trösteten sich gegenseitig, denn beide hatten einen guten Freund verloren. Die Sonne tauchte den Himmel bereits in ein abendliches Rot, als beide einschliefen.

    

   Am nächsten Morgen wurden Samanta und Maya sehr früh wach. Kurz darauf machten sie sich bereits auf den Heimweg. Gegen Mittag kamen sie zuhause an, wo bereits ihre Eltern und ihr Bruder Johannes auf sie warteten. Maya landete auf dem Vorplatz zur Hütte, auf den Johannes zurannte. Samanta sprang von ihrem Rücken und ging ihm entgegen. Auf dem Weg zur Hütte fragte Johannes, wo Christian und Floh seien. Daraufhin antwortete Samanta mit trauriger Stimme: »Sie sind wieder weg.«

    

   Vor der Hütte saßen bereits Seimon, Fabian und Sophie. Sie aßen gerade zu Mittag. Samanta setzte sich zu ihnen. Sophie stellte ihr etwas zu essen hin, in dem sie aber nur herumstocherte. Sie versuchte einen Bissen, dieser blieb ihr aber im Hals stecken. Hustend stand sie auf und ging etwas abseits, um den Bissen wieder auszuspucken. Als sie zurückkam, sahen sie alle an.

   »Was ist mit dir? Bist du krank?«

   »Nein, mir geht es gut.«

   Während die anderen weiter aßen, stocherte sie nur noch in ihrer Schüssel herum. Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten und der Tisch abgeräumt war, warteten alle gespannt auf die Neuigkeiten, die Samanta zu berichten hatte. Samanta rief Maya herbei, die sie bei ihrer Geschichte unterstützen sollte, denn bisher wussten die anderen noch nicht, dass sie Feuer speien konnte. Während Samanta von dem seltsamen Verhalten Christians und Maya am See erzählte, hob Maya unbemerkt ihren Kopf. Bei der Erwähnung des dritten Atemzuges von Maya spie sie eine Feuerfontäne gegen den Himmel. Die Anwesenden waren darüber so überrascht, dass sie vor Schreck von ihren Stühlen sprangen. Maya spie einen weiteren Feuerstrahl gegen den Himmel, um zu zeigen, dass sie es auch mehrmals hintereinander tun konnte. Samanta fuhr danach mit ihrer Erzählung fort. Sie berichtete, wie sie mit Hilfe von Maya und deren Feuer die Erdmenschen zum Aufgeben brachten und danach bei den Aufräumarbeiten geholfen hatten. Als sie zu dem Teil auf der Lichtung kam, wurde ihre Stimme belegt. Nur zögernd kamen ihr Christians Worte über die Lippen.

   »Es tut mir leid für dich, Samanta. Aber wenn er gesagt hat, dass du ihn wieder siehst, dann wird es auch so sein«, meinte Seimon aufmunternd. »Vielleicht hilft es, wenn ich dir etwas über Christians Vergangenheit erzähle. Er hat bei seinem letzten Besuch nicht alles erwähnt.« Alle sahen gespannt zu Seimon und lauschten seinen Worten. »Christian wurde vor etwas mehr als einhundert Jahren von einem Bären getötet. So glaubte man damals, denn man hatte Kleiderreste von ihm in einem Bärenmagen gefunden. Er hatte einen Bruder und der hieß Joschua, dein Urgroßvater«, dabei sah Seimon zu Samanta. »Wahrscheinlich konnte er dadurch mit dir Verbindung aufnehmen.«

   Samanta wollte etwas sagen, bekam aber kein Wort über ihre Lippen. Langsam stand sie auf und ging in die Hütte. Niemand sagte etwas, sie sahen ihr nur nach.

   »Sie wird darüber hinwegkommen«, meinte Sophie und stand auf. »Es ist spät geworden, wir sollten uns alle schlafen legen.«

    

   Samanta schlief die nächsten Tage sehr unruhig. Immer wieder musste sie an Christian denken. Wie wird es ihm wohl gehen? Nach etwa zwei Monaten fing sie wieder an, in den Wäldern herumzulaufen und die Tiere zu beobachten. Die Zeit verging, ohne dass sich Christian gemeldet oder sie an ihn gedacht hätte.

    

   Seit Tagen schon war sie aufgeregt. Ihr vierzehnter Geburtstag stand bevor. Am nächsten Tag sollte es so weit sein.

    

   Die Vorbereitungen zu der Feier waren noch nicht ganz abgeschlossen, als Samanta plötzlich anfing zu frieren. Obwohl sie direkt an der Feuerstelle stand, war ihr kalt. Sie zitterte am ganzen Körper, als ihre Mutter sie sah und ansprach.

   »Was hast du?«

   Samanta wollte gerade antworten, als sie nach hinten kippte und bewusstlos liegen blieb. Sophie eilte sogleich zu ihr. Sie stellte hohes Fieber fest, was sie veranlasste Fabian zu rufen. Gemeinsam trugen sie Samanta in ihr Bett. Während Sophie einen Heiltrunk zubereitete, kümmerte sich Fabian um Samanta. Das Fieber schien immer stärker zu werden. Samanta zitterte am ganzen Körper, wobei sie schwitzte. Als Sophie mit dem Heiltrank kam, versuchten sie gemeinsam ihn ihr einzuflößen. Tropfen für Tropfen gingen Samanta über die Lippen. Es dauerte fast eine Ewigkeit, bis Sophie mit der aufgenommenen Menge zufrieden war. Fabian eilte zum Brunnen und feuchtete Tücher an, die er an Samantas Bett brachte. Sophie legte ihr diese auf die Stirn und wickelte die Waden damit ein, um das Fieber zu senken. Von all dem bekam Samanta nichts mit.

    

   »Hallo, Samanta.«

   Samanta öffnete die Augen und sah sich um. Der Raum, in dem sie sich befand, war lichtdurchflutet. An einer Wand erkannte sie eine Truhe und neben ihrem Bett einen Stuhl. Ein Fenster schien es nicht zu geben. Woher dann das Licht kam, konnte sie nicht entdecken. Langsam erhob sie sich aus dem Bett. Ihr war noch schwindlig, was die Bewegungen zum Teil unkontrolliert wirken ließ.

   »Wo bin ich?«

   Dann sah sie Christian, der in unmittelbarer Nähe stand.

   »Christian!«, sie stand auf und fiel sogleich wieder auf das Bett.

   Christian kam zu ihr und half ihr auf. Gemeinsam gingen sie zum Eingang des Raumes.

   »Wo ...?«

   »Schhht. Ganz ruhig«, dabei legte er einen seiner Finger auf ihre Lippen.

   Mit jedem Schritt, den sie machte, fühlte sie sich besser. Der Schwindel ließ nach und ihre Beine wurden kräftiger. An der Tür angelangt sah sie hinaus und staunte. Nur zaghaft überschritt sie die Schwelle. Die Umgebung, in der sie sich befand, war wie ein Traum für sie. Sie war mitten in einem riesigen Baum. Die Äste bildeten den Boden und das Blätterdach den Himmel. Die gesamte Umgebung strahlte in einem hellen, angenehm weißen Licht.

   »Komm mit. Ich zeige dir alles.«

   Christian führte Samanta durch den Baum. Im Anschluss nahm er sie mit auf die Lichtung. Dort bewunderte sie den Baum erneut, bis Christian etwas sagte, was sie nicht verstand. Daraufhin veränderte sich der Baum. Die Krone schrumpfte und der Stamm teilte sich. Alles war, als sei es im Begriff sich aufzulösen. Plötzlich stand Floh dort, wo vor kurzem noch der Baum stand.

   »Das ist es also, was du mir damals sagen wolltest! Du bist der Baumgeist und Floh der Baum!«

   »Ja. Du weißt, dass wir verwandt sind? Wann immer du mich brauchen wirst, werde ich zu dir kommen.«

   »Aber kommst du nicht zurück?«

   »Nein, das geht nicht. Mein Platz ist hier. Nur von hier aus kann ich über das Gute und Böse wachen.«

   Samanta verstand nicht, was Christian damit meinte. »Wieso?«

   »Eines Tages wirst du es begreifen. Doch jetzt musst du gehen. Maya und deine Familie brauchen dich.«

   »Werde ich dich wiedersehen?«

   »Wir werden uns wiedersehen, wenn die Zeit gekommen ist.«

    

   Samantas Fieber verschwand so plötzlich, wie es gekommen war. Langsam öffnete sie die Augen.

   »Papa, stell dir vor, Christian ist jetzt der Baumgeist und Floh der Baum.«

   »Ganz ruhig. Du hast hohes Fieber. Sophie, sie redet wirres Zeug, komm schnell!«

   Sophie eilte zu Samanta und untersuchte sie. Das Fieber schien zurückgegangen zu sein. Sonst konnte sie nichts feststellen. Kurz darauf sprang Samanta aus dem Bett und rannte aus dem Schlafraum.

   »Lass sie gehen. Ihr geht es ja besser«, hielt Sophie Fabian zurück, der ihr folgen wollte.

   Samanta lief aus der Hütte. Sie hatte Maya noch nicht erreicht, da sandte sie bereits die ersten Gedanken zu ihr. »Maya, stell dir vor ...«

   »Ich weiß«, unterbrach sie Maya. »Christian ist angekommen.«

    

    

ENDE

Kapitel 25