Alle sahen gespannt auf die Tür. Es dauerte einige Zeit, bis sie eine Veränderung bemerkten. Durch einen Spalt in der Tür drang ein zuerst leises und dann immer greller werdendes Licht. Ein anfangs kaum hörbares Pfeifen verstärkte sich zu einem Schreien. Die Tür schien sich hin und her zu bewegen. Nach nur wenigen Augenblicken war alles wieder vorbei. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und Peter stand darin. Langsam ging er auf die Wartenden zu.
»Peter, wo sind die beiden Magier? Hat es nicht funktioniert?«, fragte Gunilla besorgt.
Peter drehte sich kurz um und sah zur offenen Tür. Dann blickte er zurück. Während dessen ist sein Vater aufgestanden und zu ihm gegangen.
»Peter, ist alles in Ordnung mit dir?.« Er nahm ihn in die Arme.
»He, was soll das?«, sagte Peter.
Hans ließ ihn sogleich los und starrte ihn an. Er musterte ihn von oben bis unten.
»Peter, was ist mit dir? Warum ...?«, er verstummte, als er zur Tür sah.
Dort stand Peter mit verschränkten Armen und sah ihn ernst an. Hans sah verwirrt von einem zum anderen.
»Vater, erkennst du deinen eigenen Sohn nicht mehr?«, sagte der Junge an der Tür.
Alle Anwesenden sahen sprachlos die beiden an. Als dann auch noch ein dritter Peter erschien, war die Verwirrung komplett.
»Wie ich sehe, ist mein Zauber gut gelungen«, sagte der echte Peter und ging zu der Gruppe. Dabei zog er die beiden anderen mit sich.
»Das gibt es doch nicht!«, wunderte sich Hans und ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Wer ist nun wer?«, fragte Rolf.
»Links ist Arnold und rechts ist Wido. Ich hoffe nur, dass wir Mawas damit ebenso täuschen können wie euch.«
Die drei Peter setzten sich auf ihre alten Plätze. Hans sah fragend zu seinem an der Rechten.
»Ich bin es wirklich«, beruhigte ihn Peter sogleich.
»Was ist mit dem Pulver?«, fragte Hans.
»Ich habe ihnen eine kleine Menge davon gegeben. Es reicht hoffentlich aus, um Mawas zu täuschen.
»Ist es nicht zu gefährlich?«
»Nein. Ich habe ihnen gesagt, was sie damit tun und was sie unterlassen sollten.«
»Wie soll es jetzt weitergehen?«, wollte Wido wissen.
»Wir drei gehen an die Oberfläche und werden dort auf Mawas warten. Arnold, du wirst zum Stadion gehen. Wido, du gehst zur Festwiese. Ich werde mich auf dem Marktplatz aufhalten. Die anderen bleiben am besten hier unten.«
Peter nickte Arnold und Wido zu, die sich daraufhin erhoben und ihm folgten.
»Peter! Warte!«, rief sein Vater und ging zu ihm. Da er nicht mehr wusste, welcher sein Sohn war, sprach er alle drei an. »Wie werden wir erfahren, wann es vorbei ist?«
»Es ist vorbei, wenn ich wieder vor dir stehe«, sagte der Mittlere und umarmte ihn. »Ich werde zurückkommen«, flüsterte er ihm noch ins Ohr, dann löste er die Umarmung und verließ mit den beiden anderen den Raum.
Hans sah den Dreien eine Weile nach, dann ging er zurück und setzte sich.
»Gunilla, können wir Peter nicht irgendwie helfen?«, unterbrach Hans die beklemmende Stille.
»Ich wüsste nicht wie. Er hat mich gebeten, nichts dergleichen zu unternehmen.«
»Was ist, wenn wir uns nicht daran halten?«, fragte Rolf verwundert.
»Wir hatten uns lange unterhalten. Er erzählte, wie gefährlich Mawas und vor allem das Pulver ist. Dabei hatte er auch darum gebeten, nichts zu unternehmen. Ich werde mich daran halten und bitte jeden von euch, das Gleiche zu tun.«
»Ich denke, hier unten sind wir sicherer als dort oben. Mawas könnte sonst jemanden von uns gefangen nehmen und als Druckmittel benutzen«, meinte Hans zustimmend.
Auf dem Weg zum Marktplatz sah Peter sich aufmerksam um. Jede Person, die ihm begegnete, überprüfte er mittels Magie. Nach etwa zehn Minuten war er am Marktplatz angekommen. Dort ging er erst einmal zu dem Brunnen in der Mitte des Platzes. Er tauchte seine Hände in das kühle Wasser und benetzte damit sein Gesicht. Das Gesicht abwischend sah er umher. Kinder liefen zum Brunnen, ein paar ältere Leute saßen am Rand des Platzes auf den Stühlen, einige Gäste machten es sich vor den Restaurants bequem. Obwohl es Mittagszeit war, wirkte der Marktplatz leer. Peter ging zu dem Löwen vor dem Rathaus, an dem sich bereits ein paar Touristen zum Fotografieren gestellt hatten. Er wartete, bis sie weitergegangen waren, und setzte sich auf dessen Rücken. Von dort aus beobachtete er den Marktplatz. Da fiel ihm ein kleines etwa sechs Jahre altes Mädchen auf, das von der Kirche her auf ihn zurannte. Sogleich sendete er seine magischen Fühler aus und untersuchte sie. Er fand keine Anzeichen dafür, dass es sich um etwas Unnatürliches handelte. Doch etwas schien nicht zu stimmen, die Signatur des Mädchens war seltsam. Dann erkannte er, was es war. Hinter dem Mädchen lief eine unsichtbare Gestalt, die die Signatur des Mädchens beeinflusste. Angreifen konnte er so nicht, denn nicht nur das Mädchen wäre dabei in Gefahr, sondern auch die anderen Besucher des Platzes. Viel Zeit hatte er nicht mehr, um sich etwas einfallen zu lassen. Das Mädchen und der Unsichtbare waren bereits auf zwanzig Meter an ihn herangekommen, als er sich vom Löwen entfernte und um das Rathaus lief. Er rannte an der Tiefgarage vorbei, durch das Tor zum Kirchhof, über die Wiese zum Fluss. Dort wartete er auf der Brücke, bis die beiden nahe genug waren. Er ließ sie bis auf zehn Meter an sich herankommen, dann schleuderte er seinen ersten Zauber dem Mädchen entgegen. Es flog auf einmal in die Höhe und rückwärts auf die Wiese an der Kirche, wo es sanft landete. Der Unsichtbare erschrak dabei so heftig, dass er für kurze Zeit sichtbar wurde. Dies reichte Peter, um den eigentlichen Angreifer zu vernichten, ohne andere zu gefährden.
Das Mädchen schüttelte sich, als es auf dem Rasen landete. Es war verwirrt und ängstlich zugleich. Sie sah zu Peter und entdeckte dabei eine Gestalt, die langsam vor ihren Augen verblasste.
Peter ging zu dem Mädchen und half ihr aufzustehen.
»Hallo. Wo sind deine Eltern?«
»Die ... da ... Kirche«, stammelte sie, immer noch verwirrt.
»Ich werde dich zu deinen Eltern zurückbringen. Ich bin Peter und wie heißt du?«, fragte er beruhigend.
»Ich bin Heike.«
Peter nahm Heike an die Hand und ging mit ihr zurück zum Marktplatz. Kurz vor dem Rathaus blieb er stehen und sah das Mädchen an.
»Erzähle niemandem, was du gerade gesehen hast. Das ist unser Geheimnis.«
Heike nickte. »Auch nicht meinem Bruder?«
»Auch dem nicht.« Peter holte aus seiner Hosentasche eine kleine Dose und öffnete sie. »Hier, die ist für dich.«
Heike freute sich so sehr über das Geschenk, dass sie Peter vergaß. Sie öffnete und schloss die Spieldose mehrmals. Erst als Peter sie aufforderte weiterzugehen, hörte sie damit auf. Auf dem Marktplatz liefen bereits die Eltern des Mädchens aufgeregt umher und riefen nach ihr. Peter brachte sie zu ihnen und verabschiedete sich von Heike.
Arnold war auf dem Weg zum Stadion und fluchte. Die Gestalt, die er jetzt hatte, was wesentlich kleiner, als seine ursprüngliche. Der Weg dorthin schien unendlich zu sein. Hin und wieder begegnete ihm jemand, den er überprüfte. Bisher war allerdings keiner von Mawas Dienern darunter. Es dauerte über eine Stunde, bis er sein Ziel erreicht hatte. Der Sportplatz war verweist, allerdings war das Schwimmbad gut besucht. Er entschied sich nicht, in das Bad zu gehen, um bei einem eventuellen Kampf keine Unschuldigen zu gefährden. Nach einiger Zeit kam eine kleine Gruppe Jugendlicher, um auf dem Sportplatz zu trainieren. Sie gingen zur Tribüne, legten ihre Taschen ab und zogen sich um. Als sie fertig waren, fingen sie an um den Platz zu laufen. Nach jeder Runde liefen sie die nächste etwas schneller. Nach fünf Runden wurden sie wieder mit jeder langsamer. Arnold schaute der Gruppe gelangweilt zu. Dabei vergaß er allerdings, auf die Umgebung zu achten. Es dauerte nicht lange, bis er von Mawas Leuten entdeckt wurde.
Zwei von Mawas Dienern liefen am Stadion entlang. Als sie Peter an der Umrandung entdeckten, gingen sie so unauffällig wie möglich in seine Richtung. Die Läufer hatten ihre letzte Runde gerade beendet, als die Diener sahen, wie Peter sich umsah. Sie blieben daraufhin stehen und versuchten, sich unauffällig zu benehmen. Einer von ihnen hob den Arm und zeigte auf den Sportplatz. Sie taten so, als ob sie sich unterhielten. Danach bewegten sie sich weiter auf Peter zu. Sie waren noch etwa zwanzig Meter von ihm entfernt, als Peter sie entlarvte.
Arnold bemerkte zwei Männer, die auf ihn zukamen, und entsandte seine magischen Fühler. Ihm wurde eine unbekannte Signatur angezeigt.
»Verdammt, sie haben mich gefunden«, dachte er.
Hastig sah er sich nach einem Fluchtweg um. Er ging vom Rand auf den Weg zur Hauptstraße. Dabei versuchte er nicht zu rennen, da er den Männern nicht zu erkennen geben wollte, dass er vor ihnen davonlief. Doch als er den Weg erreichte, begannen die beiden Diener Mawas an zu rennen. Jetzt musste er sich sputen, um ihnen zu entkommen. Wieder verfluchte er die Gestalt, die er hatte, die Beine waren einfach zu kurz, um schnell voranzukommen. Er hatte gerade die Hauptstraße erreicht, als ihn eine Hand an der Schulter packte und festhielt. Durch das ruckartige Ziehen wurde er so stark abgebremst, dass er das Gleichgewicht verlor und hinfiel. Die beiden Diener stürzten sich sogleich auf ihn und hielten ihn am Boden fest. Arnold versuchte mit all seiner Kraft sich zu befreien, aber sie waren zu stark. Es dauerte eine Weile, bis ihm einfiel, Magie einzusetzen. Ihm kam aber kein Zauber in den Sinn, der in seiner Lage hilfreich sein könnte. Aus Verzweiflung versuchte er es mit einem starken Energiestoß. Die Diener Mawas wurden von dem Zauber erfasst und weggeschleudert. Allerdings hatte Arnold zu viel Energie hineingegeben, so dass ein Teil des Zaubers auch ihn traf. Es reichte aus, um ihn benommen zu machen. Nur verschwommen nahm er noch seine Umgebung wahr. Die beiden Diener Mawas lagen unweit von ihm am Boden und rührten sich nicht. Hatte der Energiestoß etwa doch ausgereicht, um sie unschädlich zu machen? Arnold versuchte aufzustehen, aber seine Kraft reichte nicht. Durch den Energiestoß, den er abbekommen hatte, fühlte er sich, als wäre er auf einem schwankenden Schiff. Jedes mal, wenn er versuchte, hoch zu kommen, fiel er wieder zu Boden. Ein Blick zu den beiden am Boden liegenden zeigte ihm, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Sie bewegten sich bereits. Erneut wendete Arnold Magie an. Diesmal wollte er vorsichtiger sein und wählte einen besser gerichteten Zauber.
»Kranu jewa Bon tra!«, rief er und richtete beide Arme auf die Diener Mawas.
Die beiden standen auf und sahen Arnold an, der verwundert abwechselnd seine Hände und sie ansah. Langsam gingen sie wieder auf Arnold zu, der den Spruch wiederholte. Aber auch diesmal geschah nichts.
»Kranu jowa Ban tra!«, rief Arnold, so laut er konnte.
Die beiden Diener Mawas blieben abrupt stehen und lösten sich dann auf. Vor Erleichterung atmete Arnold auf und fing dann an zu lachen, wobei er vor Schmerzen immer wieder zusammenzuckte. In der Aufregung hatte er zwei Zauber miteinander verwechselt. Den ersten Zauber benutzte man, um Kopfschmerzen zu lindern, den zweiten um Gegenstände aufzulösen.