Kalta war erst fünfzehn, als er wegen Diebstahls verhaftet und einsperrt wurde. Er hatte versucht einen Magier auszurauben. Da es nicht das erste mal war, erwartete ihn eine harte Strafe. Damals hatte man ihn vor die Wahl gestellt: Entweder Tod durch das Beil oder Arbeiten für den König. In seiner Verzweiflung wählte er Letzteres, allerdings wusste er da noch nicht, dass der Tod wesentlich besser gewesen wäre. Zwei Jahre lang wurde er auf seine Aufgabe vorbereitet. Während dieser Zeit lernte er die Annehmlichkeiten am Hofe kennen und lieben. Als der Tag gekommen war, wurde ihm mitgeteilt, dass er wieder freigelassen werden würde, sobald er jemanden gefangen hätte. Man brachte ihn zu einer Tür, die er nicht sah. Die Magier des Königs vereinten ihre Kräfte, als plötzlich ein alter Mann erschien. Die Magier holten den alten Mann aus der Tür und stießen Kalta hinein. Er merkte erst einige Zeit später, dass er die falsche Wahl getroffen hatte. Er war gefangen in den Tunneln. Ohne Freunde und mit nur kargem Essen musste er Jahr um Jahr in den Tunneln leben. Einmal im Jahr musste er einen Bericht an den König verfassen, den er immer an der gleichen Tür ablegte, durch die er in die Tunnel gegangen war. Dort wartete er in der Hoffnung wieder aus dem Tunnel geholt zu werden, jedes mal, bis der Bericht verschwand und die neuen Anweisungen des Königs erschienen. Auf diese Weise erfuhr er auch von den Geschehnissen im Königreich. Eines Tages, Kalta war gerade auf seinem Rundgang durch die Tunnel, kam jemand durch eine der Türen. Kalta war so erschrocken, dass er zuschlug, dabei verletzte er den Eindringling schwer. Als er bemerkte, dass der Eindringling noch sehr jung war, versuchte er ihm zu helfen. Er nahm ihn auf und trug ihn in seine Unterkunft. Dort pflegte er ihn und erfuhr dadurch von Benaru. Die Verletzung heilte nur sehr langsam. Eines Morgens stellte Kalta fest, dass sich die Wunde entzündet hatte. Drei Tage später verstarb Hantu.
Kalta ging zum König, um ihm von Lisa und Sven zu berichten.
»Eure Majestät«, sagte Kalta und verbeugte sich.
»Was willst du hier? Du solltest doch in den Tunneln aufpassen.«
»Ich habe dir Lisa gebracht. Sie ist eine derer, die es durch die Tunnel geschafft haben.«
»Das weiß ich. Du hast mich enttäuscht. Zwei sind durchgekommen. Wo ist eigentlich der andere, Sven?«
»Er ist im Tunnel geblieben. Die Tür ging zu schnell zu.«
»Du hättest die Beiden zuerst durchgehen lassen sollen«, sagte der König und schlug Kalta mitten ins Gesicht.
Kalta wich zurück, so heftig war der Schlag. Er versuchte den König zu beschwichtigen, dieser war jedoch so verärgert, dass er immer wieder zuschlug. Irgendwann hatte der König genug davon und ließ von ihm ab. Kurz darauf verließ er den Raum. Kalta hatte von den Schlägen ein geschwollenes Gesicht.
»Eines Tages werde ich mich rächen.«
Langsam erholte er sich wieder. Die Wachen kamen zurück und stellten sich neben ihn.
»War wohl nicht so klug von dir zurückzukommen«, sagte einer der Wachen schadenfroh.
»Halts Maul«, fuhr Kalta den Wachmann an und verließ mit den Wachen den Thronsaal.
Lisa saß im Kerker auf dem Boden und weinte. Sie konnte immer noch nicht begreifen, was geschehen war. Kalta war ein Verräter und was war wohl mit Sven geschehen? Sie starrte verwirrt vor sich hin, als plötzlich jemand kam und sie ansprach.
»Hallo Lisa.«
Lisa konnte ihn durch den Tränenschleier vor ihren Augen nicht erkennen. Sie wischte sich die Tränen mit ihrem Ärmel aus den Augen und blickte ihn an.
»Wer sind Sie?«
Der Fremde kam näher an das Kerkergitter.
»Du kennst mich nicht, ich bin Fatro.«
»Was wollen Sie von mir?«
»Ich möchte wissen, wie ihr es geschafft habt, ohne Schaden durch die Türen zu gehen.«
»Welche Türen?«
»Stell dich nicht dümmer als du bist. Die Türen, durch die du und dein Freund gekommen seid.«
»Wir sind einfach durch.«
»Das glaube ich nicht. Was ist mit deinem Freund, der ist doch sicherlich ein Magier?«
»Nein. In unserer Welt gibt es keine Magier.«
Fatro versuchte, Lisa weiter auszufragen, aber sie konnte die meisten Fragen nicht beantworten. Nach etwa einer Stunde verließ er den Kerker. Lisa war wieder allein.
Sven hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür. Die Tränen liefen ihm über das Gesicht, aber er merkte es nicht. Verzweifelt sank er zu Boden und weinte vor sich hin. Nach einiger Zeit rappelte er sich auf und machte sich auf den Weg zurück in den hellen Raum. Den richtigen Weg zu finden, war nicht so einfach, Kalta hatte sie auf Umwegen zu der Tür geführt. Sie bogen mehrmals nach links und rechts ab, soviel wusste Sven noch. Er versuchte, die Strecke in Gedanken durchzugehen, dann ging er los. Nach etwa einer Stunde hatte er den Raum immer noch nicht erreicht, er war verzweifelt. Manchmal glaubte er ein Licht zu sehen, was sich dann aber doch als Trugbild herausstellte. Seine Taschenlampe wurde immer dunkler, bald würde er nichts mehr sehen. Gerade als er die Hoffnung beinahe aufgegeben hatte, fand er den Raum. Sven setzte sich an den Tisch und schaute sich um. Es sah genau so erbärmlich wie vorher aus, nur leerer. Sven überlegte, was er nun tun sollte. Schließlich fasste er den Entschluss, die Tunnel nach weiteren Türen zu durchsuchen und eine Karte anzufertigen. Um sich in den Tunneln orientieren zu können, markierte er diejenigen, die er bereits durchsucht hatte. Er kehrte immer wieder zu dem Raum zurück, um seine Erkenntnisse auf den Tisch zu zeichnen. Jede Tür, die er fand, versuchte er zu öffnen, was ihm aber nicht gelang. Durch die Fenster in den Türen konnte er nicht sehen, wo sie hinführten, die Fenster waren immer dunkel. Es dauerte mehrere Tage, bis er alle Tunnel durchsucht und auf den Tisch gemalt hatte. Vor einigen Türen fand er Körbe, in denen sich etwas zu essen und nützliche Dinge befanden. Auch dies markierte er auf der entstandenen Karte: Vielleicht konnte er durch diese eine Nachricht an Lisa und Ben schicken. Die leeren Körbe stellte er jedes mal wieder dort hin, wo er sie gefunden hatte. Am sechsten Tag sah er sich die Karte noch einmal genauer an und bemerkte etwas. Die Türen waren im gleichen Muster angeordnet, wie die Symbole auf der Karte des Königs. Die Tunnel waren die Verbindungen zwischen den Symbolen. Jetzt konnte er zumindest die Türen finden, durch die sie bereits gegangen waren. Dabei bemerkte er, dass die Tür, durch die Lisa und Kalta gingen, in den Palastgarten führte. Sven machte sich Sorgen um Lisa. Am siebten Tag kontrollierte er die Körbe: Einige waren wieder gefüllt. Er nahm die Nahrungsmittel und brachte sie in den hellen Raum. Dort angekommen nahm er ein Stück Stoff und schrieb darauf:
Nachricht für Benaru und Jaso:
Lisa ist vom König gefangen genommen.
Ich sitze in den Tunneln fest.
Kann Türen nicht öffnen.
Bitte helft uns.
Sven
Danach lief er mit dem Stofffetzen zu einer Tür, an der ein leerer Korb stand. Wohin diese Tür führte, wusste er nicht. Er hoffte, dass sie zu den Rebellen führte.
Nata ging mit einem Korb, gefüllt mit Brot, Käse und Wasser, in eine Höhle. In dieser gab es eine Nische, in der sie die Opfergaben abstellte, so wie sie es jede Woche tat. Sie nahm den leeren Korb aus der Nische und stellte den vollen hinein. Wie es Brauch war, schloss sie während dessen die Augen. Als sie mit dem leeren Korb die Höhle verließ, sah sie hinein. Der Korb war nicht leer, wie er sonst immer war. In ihm befand sich ein Stofffetzen, den sie sich ansah. Darauf waren seltsame Zeichen, die sie nicht lesen konnte. Achselzuckend legte sie den Stofffetzen wieder in den Korb und ging nach Hause. Dort angekommen zeigte sie ihn ihrem Vater, der sich das Stück Stoff ansah und den Kopf schüttelte.
»Ich weiß auch nicht, was das sein soll«, sagte er und gab Nata den Stoff zurück, »Vielleicht kann ja der Fremde im Dorf etwas damit anfangen.«
Nata machte sich auf den Weg. Im Dorf angekommen, ging sie in die Taverne und fragte nach dem Fremden. Dieser saß an einem Tisch in der hinteren Ecke. Nata ging zu ihm und zeigte ihm den Stofffetzen. Als der Fremde die Nachricht darauf las, wurde er blass.
»Danke, das ist eine sehr wichtige Nachricht«, sagte er, gab Nata ein Goldstück, bezahlte den Wirt und ging nach draußen.
Der Fremde machte sich auf den Weg nach Sondrum, das nur einen Tagesmarsch von dem Dorf entfernt war. Unterwegs traf er einen Verbündeten, der ihn auf seinem Wagen mitnahm. Somit schaffte er die Strecke in nur vier Stunden. In Sondrum angekommen, ging er direkt zu Jaso. Als der Fremde Jasos Hütte betrat, wurde er freudig von Jaso, Garum und Ben begrüßt.
»Seht euch das hier an«, sagte Salu und gab Jaso den Stofffetzen.
Während Jaso den Stofffetzen auseinander faltete, erzählte Salu, wie er zu der Nachricht gekommen war. Ben sah den besorgten Gesichtsausdruck, den Jaso beim Lesen der Nachricht bekam.
»Was ist los?«, fragte Ben beunruhigt.
»Sie haben Lisa, und Sven ist in den Tunneln gefangen.«
»Wir müssen zu dem Eingang. Garum, du bleibst hier und sorgst dafür, dass Lisa befreit wird. Salu, kannst du Ben und mich zu der Höhle führen?«
Salu nickte. Jaso und Ben packten ein paar Dinge zusammen, die sie für Svens Befreiung gebrauchen könnten. Dann verließen sie die Hütte und begaben sich zu den Stallungen. Dort nahmen sich die Drei jeweils ein Pferd und ritten zu der Höhle. Sie trieben die Pferde so schnell an, dass sie die Höhle in knapp zwei Stunden erreichten. Dort angekommen begaben sie sich hinein. Sie fanden die Nische, in der das Mädchen den Korb abgestellt hatte, die jedoch leer war. Ob Sven den Korb bereits abgeholt hatte? Jaso und Ben untersuchten die Nische, konnten aber keine Tür entdecken.
»Ben, wie war das, als du eine dieser Türen das erste mal gesehen hattest?«
»Sie hatte von innen heraus geleuchtet.«
Jaso öffnete seinen Rucksack und nahm etwas heraus. Es war eine kleine Flasche mit rötlichem Inhalt. Er öffnete sie und goss etwas von der Flüssigkeit in die Nische. Kurze Zeit später fing die Nische an zu leuchten, die Tür wurde sichtbar.
»Da ist sie!«, rief Ben.
Jaso ergriff die Türklinke und öffnete langsam die Tür. Der Tunnel dahinter wurde sichtbar.
»Sven! Bist du hier?«, rief Jaso in den Tunnel, aber er bekam keine Antwort.
»Sven!«, rief er noch einmal.
Ben hielt es nicht mehr aus und wollte gerade durch die Tür, als ihn Jaso davon abhielt.
»Hast du vergessen, was mit deinem Freund passiert ist, als er durch eine dieser Türen gegangen ist?«
»Lass mich. Ich muss Sven helfen«, sagte Ben störrisch und wehrte sich gegen den Griff von Jaso.
»Du wirst sterben, wie dein Freund Hantu!«, schrie Jaso und zerrte dabei an seinem Arm.
Ben blieb plötzlich still stehen.
»Da ist jemand.«
»Wo? Ich kann nichts sehen.«
»Dort. Er kommt näher. Sven beeile dich!«
Die Gestalt kam näher. Langsam konnte auch Jaso Konturen erkennen. Die Gestalt schien zu rennen. Kurze Zeit später stand Sven vor der Tür und starrte sie an.
»Komm doch raus«, doch er reagierte nicht.
Sven schaute so, als ob er die Beiden nicht sehen würde. Ben griff nach Sven, doch Jaso hielt ihn so weit zurück, dass er Sven nicht erreichen konnte. Ben schrie nach Sven und kämpfte gleichzeitig gegen Jaso. Doch Sven hörte und sah sie nicht. Da öffnete Sven plötzlich den Mund, es schien so, als ob er etwas sagte. Ben und Jaso konnten es jedoch nicht verstehen. Das Leuchten in der Nische verblasste langsam und Sven war immer schwerer zu erkennen. Schließlich erlosch das Leuchten, Sven und die Tür waren verschwunden.
Sven war gerade auf seinem Rundgang durch die Tunnel, als er eine Stimme hörte. Er blieb stehen und lauschte. Die Stimme kam von der Tür, an der er den Korb mit dem Stofffetzen abgestellt hatte. Er lief so schnell er konnte zu der Tür. Als er sie fast erreicht hatte, hörte er wieder diese Stimme. Jetzt erkannte er, wem sie gehörte, es war Ben. Sven erreichte die Tür nach kurzer Zeit, sie war jedoch verschlossen. Er blieb vor der Tür stehen und schaute sie an. Er hörte Bens verzweifelte Rufe, konnte ihn aber nicht sehen.
»Wo bist du?«, fragte Sven, doch es kam keine Antwort.
»Wo bist du? Die Tür ist immer noch zu.«
Sven versuchte die Tür zu öffnen, aber sie blieb verschlossen. Durch das kleine Fenster sah er nichts, es war dunkel.
»War wohl nur ein Wunschgedanke«, dachte er, drehte sich um und ging weiter die Tunnel ab.
»Wieso konnte er uns nicht sehen? Warum ist er nicht einfach durch die Tür gegangen?«, fragte Ben mit Tränen in den Augen.
Jaso nahm Ben in den Arm und versuchte ihn zu beruhigen. Es dauerte einige Zeit, bis Ben wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.
Sie bereiteten ihr Nachtlager in der Höhle. Während des Abends berieten sie sich, wie sie weiter vorgehen sollten.
Am nächsten Morgen erwachten alle drei sehr früh. Während Jaso die Nische untersuchte, bereiteten Salu und Ben das Frühstück zu. Beim Essen sagte Jaso: »Ich denke, wir sollten Garti zu Rate ziehen, um die Tür zu öffnen.«
»Sie ist in Nimra. Es wird sicherlich eine Woche dauern, bis sie hier ist«, sagte Salu.
Jaso erhob sich und ging aus der Höhle. Er stellte sogleich eine Verbindung zu Garti her und berichtete ihr von seinem Vorhaben.
Garti war eine der ältesten und fähigsten Magierinnen. Wie alt Garti war, wusste niemand. Sie hatte bereits gegen das Böse gekämpft, als die meisten Rebellen noch gar nicht geboren waren. Jaso mochte sie und während seiner Ausbildung bei ihr lernte er sie schätzen.
Garti erklärte Jaso, was er tun sollte, wenn Sven wieder vor der Tür stand.
»Gibt es keinen anderen Weg?«, fragte Jaso unbehaglich.
»Nein. Nur so kann Sven die Tunnel verlassen.«
Jaso bedankte sich, beendete die Verbindung und ging in die Höhle zurück.
»Was hat Garti gesagt?«, fragte Ben aufgeregt.
»Sie hat mir gesagt, wie wir Sven helfen können. Wenn er wieder vor der Tür steht, dann holen wir ihn raus«, sagte Jaso mit einem verzerrten Lächeln.
Jaso ging zu Salu und bat ihn, mit vor die Höhle zu gehen.
»Ben, hier ist das Mittel, damit die Tür erscheint. Nimm es und sieh nach, ob Sven in der Nähe ist«, sagte Jaso und verließ mit Salu die Höhle.
»Was ist los? Was hat Garti gesagt?«
Jaso erzähle Salu, was ihm Garti empfohlen hatte.
»Und was hast du jetzt vor? Nein«, sagte Salu und schüttelte den Kopf.
»Doch. Garti sagte, es gäbe keine andere Möglichkeit.«
»Was ist mit Garum und Ben? Wie willst du ihnen das erklären?«
»Ich weiß nicht, vielleicht gar nicht.«
Die Beiden unterhielten sich noch eine Weile, dann gingen sie wieder in die Höhle.
»Hast du Sven gefunden?«
»Nein. Ich hab ihn gerufen, aber er ist nicht gekommen.«
»Morgen wird er kommen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Morgen wäre wieder eine Opfergabe fällig. Er wird das Essen holen.«
Bis zum Abend überlegte Jaso, wie er es Ben sagen sollte, konnte aber die richtigen Worte nicht finden. Ben bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Als er nachfragte, bekam er keine Antwort.
Am nächsten Morgen bereiteten sie alles vor. Jaso legte seine Utensilien vor die Nische, Ben bereitete den Zaubertrank für die Sichtbarmachung der Tür vor. Salu half den Beiden, so gut er konnte. Jaso erklärte Ben, was er während der Zeremonie zu tun hatte.
Gegen Mittag war es dann so weit. Jaso ging in die Nische und stellte sich vor die noch unsichtbare Tür. Ben hatte seinen Platz unmittelbar hinter ihm. Salu sollte am Rand der Nische stehen und den Beiden die benötigten Utensilien reichen, sowie Sven, nachdem er die Tür passiert hatte, auffangen.
Ben öffnete die Flasche mit dem Mittel, das die Tür sichtbar werden ließ. Er schüttete ein paar Tropfen um Jaso herum. Kurz darauf fing der Boden an zu leuchten und die Tür wurde sichtbar. Jaso öffnete die Tür und gab Ben das Zeichen, dass er Sven rufen solle. Ben rief Svens Namen so laut er konnte, während dessen schaute er immer wieder an Jaso vorbei in den Tunnel. Nach etwa zwei Minuten kam Sven angerannt, blieb jedoch, wie das letzte mal, vor der Tür stehen. Ben gab Sven zu verstehen, dass er dort stehen bleiben solle. Offensichtlich hörte Sven ihn, denn er blieb, wo er war.
Sven war gerade auf dem Weg, den Proviant von der Tür zu holen, bei der er den Stofffetzen hinterlegt hatte, als er Ben seinen Namen rufen hörte. Er beschleunigte seine Schritte und erreichte kurze Zeit später die Tür. Sie war wie immer verschlossen.
»Bleib stehen, wir holen dich jetzt raus«, hörte Sven in seinen Gedanken.
Plötzlich veränderte sich die Tür, sie wurde transparent. Er sah, zuerst nur undeutlich, dann immer klarer, Jaso. Gerade als er versuchen wollte auf Jaso zu zulaufen, hörte er wieder Ben.
»Bleib stehen, bewege dich nicht!«
Jaso formte den Zauber, den Garti ihm genannt hatte. Ben sagte zu Sven, er solle sich nicht bewegen, Jaso bereitete sich darauf vor, die Tür endgültig zu entfernen. Vom Rand der Tür ging ein seltsames Leuchten aus. Plötzlich griff Jaso nach Sven und zerrte ihn durch die Tür. Im gleichen Augenblick stieß Salu Jaso zur Seite und warf einen Sack durch die Tür. Als der Sack durch die Tür flog, erlosch das seltsame Leuchten und die Tür verschwand. Sven war frei und alle vier starrten auf die Stelle, wo eben noch eine Tür war. Es dauerte einige Augenblicke, bis sich die Vier wieder gefasst hatten. Sie starrten immer noch auf die Stelle, wo sich die Tür befand, als plötzlich Nata die Höhle betrat.
»Was macht ihr hier?«
Salu fasste sich und drehte sich zum Eingang der Höhle.
»Hallo Nata. Wir haben nur unsere Opfergaben gebracht.«
»Darf ich jetzt?«
»Aber ja doch.«
Salu ging mit den anderen in Richtung Ausgang, dabei wandte sich Jaso verärgert an ihn.
»Was sollte das eben?«
»Später. Jetzt nicht.«
Gemeinsam verließen sie die Höhle und begaben sich auf den Weg zur Taverne in dem nahe gelegenen Dorf. Dort angelangt bestellte Salu für alle etwas zu trinken und zu essen. Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, sagte Salu: »Ich konnte nicht zulassen, dass du an Svens Stelle in die Tunnel gehst. Deshalb habe ich einen Ersatz hineingeworfen.«
Ben und Sven wurden bleich bei dem Gedanken, dass Jaso sich für Sven opfern wollte.
»Aber wenn es nicht funktioniert hätte, dann wären wir jetzt alle tot«, widersprach Jaso.
Ben und Sven schauten abwechselnd von Jaso zu Salu, sie verstanden das Ganze nicht. Als Jaso dies bemerkte, fing er an zu erzählen.
»Garti hatte mir gesagt, dass, wenn Sven den Tunnel verlässt, jemand seinen Platz dort einnehmen muss. Sonst würde alles im Umkreis von mehreren Hundert Metern durch die entstehende Explosion zerstört. Sie sagte, dass die Explosion durch das Fehlen einer Person im Tunnel ausgelöst werden würde. Aus diesem Grund wollte ich Svens Platz einnehmen.«
»Warum wolltest du meinen Platz in den Tunneln einnehmen?«
Jaso hatte von Garti erfahren, dass Sven für das Land sehr wichtig sei. Nach einer alten Überlieferung sollte jemand durch die Tunnel kommen und das Land von der Tyrannei befreien. Jedoch würde dieser es nicht wissen dürfen, denn nur so könne die Prophezeiung in Erfüllung gehen.
Jaso überlegte nun, was er Sven sagen konnte, ohne die Prophezeiung zu gefährden.
»Garti sagte, es sei die einzige Möglichkeit, dich dort herauszuholen ohne andere zu gefährden. Ich hätte danach sicherlich eine Möglichkeit gefunden, wieder aus den Tunneln zu kommen. Salu, was hast du eigentlich dort hineingeworfen?«
»Das willst du bestimmt nicht wissen«, sagte Salu und blickte sich ängstlich um.
Jaso sah Salu mit strengem Blick an.
»OK«, sagte der, beugte sich vor und begann leise zu erzählen:
»Ich war in der Nacht auf dem Friedhof, hier in der Nähe. Gestern ist dort ein Kind beerdigt worden. Das habe ich ausgegraben und in den Sack ...«
Er sprach nicht weiter, die Blicke der anderen sagten genug. Salu atmete durch, um seine Anspannung zu lockern.
»Ich habe das nicht gerne getan, aber es war wohl so am besten.«
Alle sahen sich verstohlen um, um festzustellen, ob jemand das Gespräch mitbekommen hatte. Jaso stand auf und schlug vor nach Sondrum zu gehen und dort alles Weitere zu besprechen. Salu bezahlte den Wirt, danach verließen sie die Taverne. Sie wollten sich neue Pferde besorgen und gingen zum Stallmeister. Dort erstanden sie vier Pferde, auf denen sie nach Sondrum reiten konnten. Sie ritten sehr langsam, dadurch dauerte es fünf Stunden, bis sie Sondrum erreichten. Während des Ritts erzählte Sven, was er in den Tunneln erlebt hatte.
In Sondrum angekommen wollten sie zuerst in Erfahrung bringen, was die Königskinder noch gesagt hatten. Sie gingen in die Arresthütte, wo Gona bereits wartete. Er berichtete, dass die Königskinder nichts Neues erzählt hätten, auch dass die Karte, die Sven bei seinem letzten Besuch angefertigt hatte, sie nicht weiter gebracht hätte. Sven ging zu den Königskindern und bat darum mit ihnen allein zu sein.
Sven setzte sich zu Wata und Alat an den Tisch und sah sie schweigend an. Wata und Alat starrten verunsichert zurück. Sie hatten Angst etwas zu sagen, aber nach einiger Zeit hielt Wata die Spannung nicht mehr aus.
»Was ist?! Was willst du von uns?!«, schrie er Sven an.
»Ich war in den Tunneln und habe mich dort genauer umgesehen. ...«
Sven erzählte den Beiden, dass er in den Tunneln Hantu kennen lernte und was dieser mit Lisa getan hatte. Ebenso von seinen Suchen in den Tunneln.
»Bei meiner Suche habe ich etwas Interessantes gefunden.«
Sven holte etwas aus seiner Tasche und legte es auf den Tisch. Um den Gegenstand besser sehen zu können, beugten sich Wata und Alat darüber. Als sie erkannten, was es war, erschraken sie. Vor ihnen lag ein Bild, das drei Personen zeigte, eine Frau und zwei Kinder.
»Das seid doch ihr, oder?«
Wata und Alat sahen sich erschrocken an, dann fingen sie plötzlich an zu schluchzen.
»Ja. Das sind wir und unsere Mutter«, sagte Alat weinerlich.
Es dauerte einige Zeit, bis sie sich wieder gefasst hatten. Danach begannen sie sich zu öffnen. Sie erzählten Sven, wie ihr Vater sie von klein auf immer wieder dazu angetrieben habe, anderen weh zu tun. Vor ein paar Jahren hatten sie sogar begonnen zu töten, nur um ihrem Vater zu gefallen. Ihre Mutter habe das nicht gut gefunden und sich gegen die Erziehung des Königs gestellt. Darauf hin habe man sie wegen Ungehorsam gegenüber dem König zum Tode verurteilt. Wata und Alat mussten sich die Hinrichtung mit ansehen. Da sie nur noch ihren Vater hatten, wurden sie immer grausamer gegenüber ihren Mitmenschen. Jedes mal, wenn sie jemanden besonders grausam behandelten, wurden sie vom König gelobt oder bekamen ein kostbares Geschenk. Mit der Zeit war es für sie normal andere zu quälen.
Es dauerte länger als eine Stunde, bevor Sven wieder zu den anderen ging.
»Hast du etwas in Erfahrung gebracht?«, fragte Salu.
»Vielleicht«, sagte Sven und erzählte ihnen, was er in Erfahrung gebracht hatte.
»Dann gibt es für die Beiden noch Hoffnung«, meinte Jaso.
Sven ging zur Karte an der Wand und sah sich diese an.
»Gibt es hier irgendwo ein altes verlassenes Dorf?«
»Ja, etwa drei Tagesreisen von hier«, meinte Garum.
»Können wir dort einmal hin?«
»Ja. Wenn du es unbedingt sehen möchtest, können wir morgen hin.«
Sven zeichnete während der Unterhaltung die Symbole ein, die er auf der Karte im Traum gesehen hatte. Dabei markierte er das Symbol, das er auf dem Grabstein gefunden hatte, mit einem Zeichen. Um die gesamte Karte besser sehen zu können, trat er einige Schritte zurück. Alle schauten auf die Karte, aber niemand konnte mit der Anordnung der Zeichen etwas anfangen. Nach einiger Zeit verließen sie die Arresthütte. Sven ging mit Jaso, Garum und Ben in Jasos Hütte.
»Darf ich dich untersuchen, Sven?«
Sven nickte. Jaso ging zu ihm und begann ihn mittels Magie zu untersuchen. Es dauerte nicht lange, bis er damit fertig war.
»Und? Etwas gefunden?«
»Nein. Du scheinst keine Energie mehr aufzunehmen. Ich frage mich, was dahinter steckte.«
Sie setzten sich alle an den Tisch. Während des Essens erzählte Sven, was er in der Zwischenzeit so alles erlebt hatte. Alle hörten den Erzählungen von Sven aufmerksam zu. Zum Abschluss fragte Sven: »Wie können wir Lisa befreien?«
»Unsere Leute werden sich darum kümmern«, sagte Jaso.
Durch die Reise und Erzählungen erschöpft, gingen alle früh schlafen.
Am nächsten Morgen machte sich Sven mit Ben und Garum auf den Weg zu dem Geisterdorf. Sie nahmen Pferde, um schneller voranzukommen. Gegen Mittag des zweiten Tages hatten sie den Rand des Dorfes erreicht. Der Ort sah genau so aus, wie es Sven in seinem Traum gesehen hatte. Sie stiegen von den Pferden und ließen sie auf der Wiese grasen. Langsam ging Sven auf der Hauptstraße in das Dorf: Ben und Garum folgten ihm schweigend. Sven ging zuerst zu der Hütte, in der er Sirius getroffen hatte. Er öffnete die Tür und ging hinein. Dort war der Tisch und dahinter die Feuerstelle. Alles sah so aus wie in seinem Traum. Er ging um den Tisch herum und erschrak: Am Boden war ein Häufchen Staub zu sehen, genau da, wo der Stuhl stand. Ben und Garum kamen gerade in die Hütte, als Sven sich zur Feuerstelle umdrehte. Das Feuer brannte nicht, aber es gab noch Asche darin. Sven kniete sich davor und stocherte mit seinem Dolch darin herum, fand aber nichts Verwertbares. Er stand wieder auf und ging zum Ausgang. Ben und Garum standen immer noch in der Tür und beobachteten ihn interessiert. Sven sagte nichts, schob beide zur Seite und verließ die Hütte. Langsam ging er die Hauptstraße weiter Richtung Friedhof. Dabei sah er sich immer wieder um. Am Friedhof angelangt ging er zielsicher auf ein bestimmtes Grab zu. Dort angekommen las er den Namen, der auf dem Grabstein stand: »Benaru Tazea«. Darunter fand er auch das Symbol, das er im Traum gesehen hatte. Garum und Ben kamen näher. Sven drehte sich zu ihnen um und fragte: »Ben, wie ist dein vollständiger Name?«
Ben schaute ihn verdutzt an.
»Wie ist dein vollständiger Name?«, fragte Sven erneut.
»Benaru Tazea.«
Sven drehte sich darauf hin um und zeigte auf das Grab. Ben und Garum gingen etwas näher heran. Als Ben den Grabstein sah und die Inschrift las, wurde er blass. Dort stand tatsächlich sein Name.
»Wie kann das sein?«
»Ich … Weil … Wie ...«, stammelte Ben.
»Ben, wer bist du?«, fragte Sven.
Garum verstand das alles nicht und schüttelte nur ungläubig den Kopf. Ben erholte sich vom ersten Schrecken und atmete tief durch, dann fing er an zu erzählen.
Ben wurde vor etwa dreizehn Jahren in diesem Dorf geboren. Seine Mutter starb während seiner Geburt. Sein Vater wurde drei Monate vor seiner Geburt von Spionen des Königs ermordet. Ein Verwandter von Bens Mutter lebte damals in Samen. Als dieser von Bens Geburt und dem Tod seiner Mutter erfuhr, holte er den Jungen zu sich und gab ihm den Namen seines Vaters. Erst mit sieben Jahren hatte Ben erfahren, wer seine wahren Eltern waren. Da das Dorf zu weit von Samen entfernt war, hatte er nie das Grab besuchen können.
Als Ben seine Geschichte beendet hatte, suchte er nach dem Grab seiner Mutter. Er fand es in unmittelbarer Nähe von dem seines Vaters. Er kniete nieder und weinte innerlich. Sven und Garum ließen ihn allein: Sie wollten ihn nicht in seiner Trauer stören. Während Ben um seine Eltern trauerte, sahen sich Sven und Garum weiter im Dorf um. Sie gingen in mehrere Hütten, fanden aber nichts Interessantes mehr. Nachdem sie sich umgesehen hatten, gingen sie wieder zu ihren Pferden zurück. Dort warteten sie auf Ben, der wenige Minuten nach ihnen eintraf. Alle drei ritten zurück nach Sondrum.
In Sondrum angekommen, gingen sie zu Jaso, um ihm zu berichten, was sie herausgefunden hatten. Sie hatten Jasos Hütte fast erreicht, da rief jemand: »Sven! Warte auf mich!«
Sven drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Er traute seinen Augen nicht, als er sah, wie Lisa auf ihn zu rannte.
»Lisa!«, rief Sven erfreut und lief ihr entgegen.
Als sie sich erreichten, fielen sie sich in die Arme. Lisa fing an zu erzählen, wie sie befreit wurde. Sven konnte ihren Ausführungen kaum folgen, so schnell sprach sie vor Aufregung.
»Wie bist du aus den Tunneln entkommen?«, fragte Lisa am Schluss.
Sven erzählte Lisa eine Kurzfassung der Ereignisse in den Tunneln und was er erlebte, nachdem er sie verlassen hatte.
»Ich habe das Geisterdorf gefunden und einiges in Erfahrung gebracht. Lass uns zu den anderen gehen, dann erzähle ich dir alles Weitere.«
Garum und Ben saßen bereits am Tisch in der Hütte, als Lisa und Sven diese betraten. Sie setzten sich zu den anderen. Während der Mahlzeit berichteten Sven, Ben und Garum über ihre Erlebnisse in dem Geisterdorf. Lisa und Jaso hörten den Erzählungen der Drei zu.
»Dann kannst du in deinen Träumen ebenfalls hierher«, stellte Jaso am Ende fest.
»Es sieht so aus.«
»Ich frage mich nur, wer dich dabei lenkt?«
»Das wüsste ich auch gerne.«
Sie unterhielten sich noch einige Zeit, dann räumten sie den Tisch ab und gingen ihrer täglichen Arbeit nach.
Sven, Lisa und Ben gingen gemeinsam nach draußen. Sie setzten sich an den Brunnen und beobachteten das Treiben im Dorf.
»Sven, ich glaube, ich weiß, warum der König so komisch ist«, sagte Lisa.
»Was?, rief Sven überrascht aus und Ben starrte Lisa nur erstaunt an.
»Ich hatte dir doch erzählt, dass sie mich immer wieder gefragt haben, wie wir unbeschadet durch die Türen gegangen sind. Daraufhin habe ich versucht mehr von Fatro zu erfahren.«
Lisa erzählte, dass Fatro eigentlich sehr nett gewesen war. Er hatte sie immer mit Respekt behandelt. Schnell hatte sich eine Vertrautheit gebildet, die Lisa ausnutzte. So erfuhr sie von Fatro, dass der König Angst davor hatte, jemand könne aus den Türen kommen und ihn töten, so wie er selbst es vor langer Zeit getan hatte. Der König war nicht in diesem Land geboren: Er tauchte auf, als er zwölf Jahre alt war. Der König kam nicht aus einem Nachbarland, er kam durch eine der Türen. Schnell hatte er andere Kinder um sich gescharrt und die Leute tyrannisiert. Mit dreizehn hatte man ihn und seine Bande festgenommen. Er wurde, wie es so üblich war, zum König gebracht. Irgendwie hatte er es geschafft den König zu überzeugen, ihn nicht zu bestrafen. Der damalige König hatte schon nach kurzer Zeit so viel Vertrauen zu ihm, dass er sich im Palast frei bewegen konnte. Mit vierzehn hatte er dann den amtierenden König umgebracht. Er ließ es so aussehen, als ob es ein Unfall wäre. Noch am gleichen Tag hatte er eine Urkunde hervorgeholt, die ihn als Nachfolger des Königs auswies. Kurz darauf wurde er zum König gekrönt.
»Weißt du auch seinen Namen?«, fragte Ben.
»Er heißt Klaus Pott.«
Sven überlegte einen Augenblick und sagte dann nachdenklich: »Einer in unserer Klasse hieß so. Er ist vor einem halben Jahr verschwunden. Ich dachte, sie hätten ihn eingesperrt. Er war nicht richtig im Kopf.«
»Ich habe da noch etwas herausgefunden«, sagte Lisa und sah dabei demonstrativ Ben an.
»Was ist?«
»Fatro wusste sehr viel über dich, Ben. Woher?«
Ben wurde verlegen und sah zur Seite.
»Ich … ich bin Magier. Die haben mich überwacht, darum wissen sie so viel über mich.«
»Das kann nicht sein. Sie wussten mehr, als die Spione je in Erfahrung bringen konnten. Sie wussten auch von dem Steinbruch.«
Ben wurde blass, als Lisa den Steinbruch erwähnte. Das konnten die Spione wirklich nicht herausgefunden haben. »Was war im Steinbruch?«
Sven hatte die Frage noch nicht zu Ende gestellt, da stand Ben auf und lief davon.
»Ben!«, rief Lisa ihm hinterher.
Sven verstand gar nichts mehr. Gerade als er Ben hinterher laufen wollte, sagte Lisa: »Lass ihn.«
»Was ist hier eigentlich los?«
»Ben und ich waren in einem Steinbruch nicht weit von Samen entfernt.«
Sven sah Lisa abwartend an.
»Das war, bevor du hierher gekommen bist. Dort haben wir in den Höhlen gespielt. Wir hatten gerade miteinander gekämpft, Ben saß auf mir, da gab er mir einen Kuss«, sagte Lisa und senkte verlegen den Kopf.
»Das konnte der König wirklich nicht wissen.«
Lisa und Sven konnten sich das Verhalten von Ben nicht erklären. Auch was er mit dem König zu tun haben mochte, war ihnen ein Rätsel. Sie gingen zu Jaso und wollten es ihm erzählen, fanden ihn aber nicht in seiner Hütte. Da kam Garum und sagte, dass Jaso in der Arresthütte sei. Gemeinsam gingen sie dort hin. Jaso war gerade dabei die Königskinder noch einmal zu befragen, als Lisa, Sven und Garum das Verhörzimmer betraten. Jaso schickte die Drei wieder hinaus, kam dann aber nach wenigen Minuten zu ihnen.
»Was sollte das eben?«
»Wir müssen dir etwas Dringendes über Ben sagen«, sagte Lisa und fing an zu erzählen.
Jaso hörte sich die Geschichte aufmerksam an. Nachdem Lisa zu Ende erzählt hatte, ging er wieder in das Verhörzimmer. Die Drei schauten sich nur verständnislos an, da Jaso nichts weiter gesagt hatte. Nach etwa zwanzig Minuten kam er wieder heraus.
»Setzt euch«, sagte Jaso und zeigte auf die Stühle am Tisch. »Wenn das alles stimmt, was ich eben erfahren habe, dann ist es schlimmer, als ich dachte.«
Jaso machte eine kurze Pause, dann berichtete er von den Aussagen der Königskinder.
»Das kann ich nicht glauben«, sagte Lisa.
»Es scheint aber so zu sein. Ob es wirklich so ist, werden wir erst erfahren, wenn wir Ben danach fragen.«
Alle sahen sich betroffen an. Keiner konnte glauben, was Jaso soeben gesagt hatte.
»Wir müssen die anderen warnen«, sagte Sven plötzlich.
»Nein. Vorerst behalten wir das für uns. Vielleicht gibt es ja auch eine einfache Erklärung dafür. Zu keinem ein Wort!«, sagte Jaso und stand auf. »Kommt, vielleicht ist er ja schon in der Hütte.«
Alle standen auf und verließen die Arresthütte. Sie liefen gerade am Brunnen vorbei, als sie Ben aus der Hütte kommen sahen.
»Ben! Warte!«, rief Lisa.
Als Ben die Vier sah, beschleunigte er seine Schritte. Sie versuchten noch ihn einzuholen, doch er verschwand vor ihren Augen.
Ben lief so schnell wie noch nie in seinem Leben. Er schaffte es, seine Verfolger abzuschütteln, indem er sich unsichtbar machte. Nachdem er sich unbeobachtet glaubte, ging er auf eine verfallene Hütte zu. Es war die Hütte, in der Sven und Lisa beim letzten mal verschwanden. Er öffnete die Tür, sah sich noch einmal um und ging hinein. Seine Augen benötigten einige Zeit, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Danach sah er sich um. Der Raum, in dem er sich befand, war leer. Auch die angrenzenden Räume waren verfallen und leer. Als er alles durchsucht und nichts gefunden hatte, was ihn stören könnte, setzte er sich in die Mitte des kleinsten Raumes und fing an sich zu konzentrieren.